Danke Isabell oder 2×3 macht 6! – 32. Spieltag 15/16

Erstaunlich eigentlich, dass es für Fans keinen Abstiegspokal gibt. Verdient hätten sie es. Ein SpielTAG, der gefühlt eher eine SpielWOCHE war, das kostet Nerven. Tagelang zu sehen, dass die unmittelbaren Konkurrenten punkten und die eigene Mannschaft auf den direkten Abstiegsplatz rutscht. Hart. Hart auch für die Fans, die aufgrund des Montagsspiels nicht anreisen können und für die Ultras, die in verständlicher Solidarität nicht ins Stadion gehen. Wie sehr sie fehlen werden, ist vor dem Spiel nur eine angsterfüllte Ahnung. Apropos Stadion, als Dauertresenkraft im Kweer, ist es jedes Mal etwas Besonderes im Stadion sein zu dürfen. Und bin ich dort, und dann bin ich Isabell. Ja, so was gibt es. Und ich bin so dankbar, dass es Menschen gibt, die unserem Fanclub Dauerkarten zur Verfügung stellen, damit ich mir in der Kurve fast in die Hosen machen kann, während der Angstschweiß läuft, um nachher mit Freudentränen den anderen Fans in den Armen zu liegen. Mit Isabells Dauerkarte im Portemonnaie bin ich also unterwegs ins Viertel. Schnell nach der Arbeit mit Lars noch eine Pizza verdrücken, ein Bier unterwegs und danach Fabian am Taubenschlag treffen. Auf der anderen Seite der Ampel steht Nando vom Eisen. Der Wirt ist genauso von Angst und Vorfreude gezeichnet, wie ich. Die Kommunikation läuft ohne Worte und die Handzeichen zeigen, wie nah wir dies Jahr am Abgrund stehen. Für lange Gespräche ist keine Zeit, aber still versprechen wir uns: „Weiter geht’s, zusammenstehen, Augen zu und durch“. Vom Taubenschlag geht’s weiter zum Fähranleger. Wir sind mit Monika und Rolf von den Grün-Weißen-Trollen verabredet. Gemeinsam haben wir schon Einiges erlebt und unternommen, aber auch hier ist die Abstiegsangst das erste Thema. Besprechen wir lieber die Auswärtsfahrt nach Köln und das bevorstehende gemeinsame Fanturnier beim Martinshof. Kümmerling, Bier, Umarmung und „na klar, natürlich steigen wir nicht ab“! Hoffentlich… Nun aber ab in die Ostkurve.

Die Kurve ist voll, aber der lange Lars entdeckt noch eine Lücke, in der auch Zwerge wie ich noch eine Chance haben das Spiel zu sehen. Gut, unser Tor ist kaum zu sehen, aber da soll ja heute auch ausnahmsweise mal nix rein. Und die Fans stehen schon wie eine Wand, grün-weiß und lautstark. Und als die Mannschaft auf den Videotafeln gezeigt wird, sitzt niemand mehr. Als sie einläuft singt das Stadion und ich habe Gänsehaut am ganzen Körper. So fühlt sich sonst nur Pokal an. Und so legt die Mannschaft auch los. Nach 10 Minuten legt Pizarro für Bartels auf und wir liegen uns in den Armen und können es kaum fassen. Wiedwald rettet in den nächsten Minuten Werders Vorsprung und die Stuttgarter sind auf einmal auch da. Und dann ist sie plötzlich wieder da, die Angst. Der Ausgleich, meisterlich inszeniert, wie das nur Mannschaften können, die mehr als 60 Gegentore Erfahrung mitbringen. Die Fans stöhnen kurz auf und sind dann aber sofort wieder voll da. Was gar nicht so einfach ist, wenn man ohne viele Ultras gar nicht so genau hört, was die andere Seite der Kurve eigentlich gerade singt. Aber es ist eh nicht der Moment für große Gesänge, Lautstärke ist wichtiger als Symphonie. Und in der Phase der vielleicht größten Werder-Bedrängnis des Spiels, zeigt Stuttgart, dass sie 7 ihrer über 60 Buden auch selbst schießen können. Welche Erleichterung! Aber Werder bleibt unter Druck und erst Öztunali schafft mit dem dritten Treffer ein bisschen Ruhe für die Halbzeit. Mit der ist es schnell vorbei, wenn man um den Ligaerhalt spielt und Stuttgart den Anschluss erzielt. Da ist es wieder, das Zittern und der Wille, die Mannschaft noch mehr anzufeuern. Nicht aufgeben, wir müssen das doch schaffen. Und ja, die Mannschaft ist da, Bartels und Juno laufen und grätschen als ob es kein morgen mehr gibt und Pizza macht die vierte Bude. Der Jubel ist unvorstellbar. Auf der einen Seite grinst Lars, auf der anderen brüllt wer anders. Das eine Ohr voller Bier verstehe ich nicht, was Lars sagt, aber das ist auch egal, Fans verstehen sich auch ohne Worte. Ich brülle heiser: „Aber heute muss die Zwei mal stehen!“ und grinse mit rotem Kopf zurück. Ab dem fünften Tor darf der Körper dann von der Ausschüttung von Adrenalin auf Endorphin umstellen, Tor sechs und fast Tor sieben sind dann nur noch die letzen Schläge, wenn der angeschlagene Gegner nicht von selbst das Handtuch wirft. Wir warten alle auf den Abpfiff und die Mannschaft. Heute haben wir es uns wirklich verdient zu feiern. Der Blick auf die Tabelle schafft dann die Gewissheit, 2×3 macht 6, und das Torverhältnis ist auch endlich mal auf unserer Seite.

Subjektive Randnotizen eines historischen Spieltags:

Auch wenn die Presse vielleicht was anderes sagt, mir haben die Ultras gefehlt und man sollte nicht von einem Ausnahmespiel darauf schließen, dass der Montag ein geeigneter Spieltag ist. Darüber hinaus werde ich mich wohl nie an das ungute Gefühl im Magen gewöhnen, wenn Zehntausende die Faust von sich strecken und Sieg, Sieg skandieren. Gut, dass wir nächste Woche in Köln sind, Auswärtssieg löst bei mir irgendwer weniger Assoziationen aus.

(Autor: Christian Linker)